Der Österreichische Journalisten Club (ÖJC) kritisiert die weltfremde und verwirrende Entscheidung des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments die sogenannte „Panoramafreiheit“ einzuschränken.

[quote]“Es kann nicht Sinn europäischen Rechts sein, dass wenn man ein Selfie vor der Karlskirche in Wien machen will, vorher die Erlaubnis der Katholischen Kirche und des Barock-Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach einholen muss“[/quote]
macht sich ÖJC-Präsident Fred Turnheim über diesen Streich einiger EU-Abgeordneten lustig. Der öffentliche Raum gehört uns allen. Eine Kommerzialisierung und Privatisierung des öffentlichen Raumes wird strikt abgelehnt. Die österreichischen Abgeordneten zu EU-Parlament werden ersucht, für den Erhalt der Panoramafreiheit zu stimmen.

Reaktionen von EU-Abgeordneten

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Sehr geehrter Herr DI Acaris!

Danke für Ihre Anfrage und für Ihr Interesse an europapolitischen Themen. Als Justizsprecher der ÖVP-Delegation im Europäischen Parlament darf ich Ihnen im Namen aller ÖVP-Abgeordneten im EU-Parlament antworten.

Zunächst möchte ich einmal beruhigend ausführen, dass es bei dem fraglichen Text um einen so genannten „Initiativbericht“ geht – das heißt: es liegt dem EU-Parlament in diesem Punkt KEIN GESETZ zur Abstimmung vor; es geht vielmehr um eine Stellungnahme des Europäischen Parlaments zum Thema Urheberrechte und Copyright, bevor die Europäische Kommission möglicherweise im Herbst einen EU-Gesetzesvorschlag zum Urheberrecht vorlegen wird. Die Abstimmung des Europäischen Parlaments im nächsten Plenum im Juli hat also KEINERLEI AUSWIRKUNGEN auf österreichisches Recht.

Bevor ich auf die konkrete Textstelle, die Anlass Ihrer Sorge scheint, eingehe, erlaube ich mir, grundsätzlich noch voraus zu schicken, dass es der Europäischen Volkspartei als größter politischer Kraft im Europäischen Parlament ein besonderes Anliegen ist, Urheber, Künstler, Autoren und Verwerter vor der kommerziellen Ausbeutung ihrer Werke ohne deren Einwilligung zu schützen.
Ein Beispiel: ein Fotograph kann nicht einfach in einer Ausstellung Skulpturen eines Künstlers ohne dessen Einwilligung fotografieren und dann die Bilder auf seine Homepage stellen, wo er sie kommerziell verwertet. Der Künstler, der die Skulpturen geschaffen hat, muss einen Anspruch auf Abgeltung so einer kommerziellen Verwertung haben. Das gilt natürlich auch dann, wenn die Ausstellung nicht in einem Museum, sondern zum Beispiel vor dem Museum stattfindet. Umgekehrt: steht vor dem Museum, auf einem öffentlichen Platz, zum Beispiel dauerhaft eine Skulptur eines Künstlers, kann es nicht verboten sein, diese Skulptur zu fotografieren; erst recht dann nicht, wenn das Bild dann gar nicht kommerziell verwertet wird.

Ich will anhand dieser Beispiele also einmal voranschicken: Ja, ich stehe dazu, dass jemand, der/die ein künstlerisches Werk schafft, auch Anspruch auf die kommerzielle Verwertung desselben haben muss. ABER: es gibt hier (wie meistens im Rechtsbereich) wichtige Abgrenzungsfragen, die es präzise zu klären gilt.
So weit sind wir aber noch nicht – es handelt sich ja wie eingangs ausgeführt beim zur Abstimmung stehenden Text nicht um einen Rechtstext, sondern um eine allgemeine, grobe Positionierung des Europäischen Parlamentes.

Zum konkreten Text: Ja, ich stimme mit Ihnen überein, dass der vom Rechtsausschuss des Europaparlaments mehrheitliche angenommene Textpassus zu weit geht. Wie schon dargestellt: eine generelle Einschränkung der Freiheit, Gebäude (die ja von Künstlern, nämlich Architekten geschaffen wurden) zu fotografieren, kann es nicht geben; schon gar nicht kann es ein derartiges Verbot geben. Der von einem französischen liberalen Abgeordneten eingebrachte Textpassus, der nun dem Gesamtparlament vorgelegt wird, geht eindeutig zu weit und lässt die nötige Abgrenzung, die ich an oben genannten Beispielen zu illustrieren versuchte, vermissen.

Als Abgeordnete der Österreichischen Volkspartei werden wir daher bei der Abstimmung am 10. Juli gegen den fraglichen Passus zur Einschränkung der Panoramafreiheit stimmen.

Ich hoffe, Ihre Bedenken und Sorgen damit ausräumen zu können und verbleibe mit dem Angebot, dass Sie sich bei weiteren Fragen natürlich gerne melden können,

Mit freundlichen Grüßen,

Heinz K. Becker

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Sehr geehrter Herr Acaris,

im Namen der SPÖ- EU Delegation (Eugen Freund, Karin Kadenbach, Josef Weidenholzer und Evelyn Regner) darf ich mich herzlich für Ihr Email zum Thema „Panoramafreiheit“ bedanken. Gerne möchte ich Sie über das Thema näher informieren.

Am 9. Juli 2015 wird bei der Plenarabstimmung in Strasbourg keine, wie von vielen besorgten Bürgerinnen und Bürgern befürchtete, bindende Europäische Urheberrechtsreform beschlossen.
Das Europäische Parlament stimmt lediglich über einen nicht gesetzgeberischen Initiativbericht (Richtlinie zur „Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“) ab. Ziel ist es, der Europäischen Kommission einen Denkanstoß und Empfehlungen für die mit Ende 2015/ Anfang 2016 geplante und in meinen Augen längst überfällige Urheberrechtsreform zu geben.
Die S&D- Fraktion hat maßgeblich dazu beigetragen, wichtige Grundsteine zu legen. Besonders eingesetzt haben wir uns für eine deutliche Ablehnung des Geoblockings, also das Blockieren von Inhalten im Internet aufgrund nationaler Grenzen und eine explizite Ausnahme für Bildungsreinrichtungen wie etwa Schulen und Bibliotheken, um bestmöglichen Zugang zu Information gewährleisten zu können.
Der Europäischen Kommission obliegt die tatsächliche Ausarbeitung einer solchen Urheberrechtsnovelle. Dieser Text wird dann von Europäischen Parlament und Rat beraten, verhandelt und gegebenenfalls beschlossen.
Die Abstimmung am 9. Juli hat also keine aktuellen Auswirkungen auf österreichisches / deutsches Recht.
Die Europäische Union erlebt eine digitale Revolution, die sich auf unser politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles Leben sowie auf unseren Alltag auswirkt. Die derzeit geltende Richtlinie stammt aus dem Jahr 2001 und wird der zunehmenden Digitalisierung nicht mehr gerecht. Für die meisten Europäerinnen und Europäer ist die Verwendung dieser neuen Kommunikationsform bereits ein integraler Teil ihres täglichen Lebens. Durch das Internet ändert sich die Art und Weise, wie wir leben, lernen, arbeiten und kommunizieren.
Die europäischen SozialdemokratInnen setzen sich für ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen KünstlerInnen, ProduzentInnen, VerfasserInnen, VertreiberInnen und NutzerInnen unter Berücksichtigung der Spannungen zwischen Zugang sowie Verbreitung und Schutz der kreativen Inhalte im Internet ein. Der Zugang zu Informationen soll auch für die technik-fernen Bürgerinnen und Bürger sichergestellt werden.

Im Bereich der Panoramafreiheit/ Straßenbildfreiheit gibt es derzeit unterschiedliche Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten. In Österreich und Deutschland genießen wir eine vollständige Panoramafreiheit, sowie in zwölf weiteren Ländern der Europäischen Union. Dies bedeutet in Österreich, dass Fotos von urheberrechtlich geschützten Werken, wie dem Hundertwasserhaus oder DC Tower in Wien im öffentlichen Raum verwendet und verbreitet dürfen, ohne zuvor irgendwelche Rechte zu klären.
Unser Ziel für die Plenarabstimmung am 9. Juli ist es, die uneingeschränkte Panoramafreiheit zu erreichen, was bei den Verhandlungen im Rechtsausschuss leider noch nicht möglich war. Für jemanden, der ein Foto auf soziale Netzwerke stellt, muss es egal sein, ob dieses Foto vor dem Schloss Schönbrunn, dem DC Tower oder der Karlskirche aufgenommen wurde. Es handelt sich dabei um Werke des öffentlichen Raums und dieser Raum darf nicht privatisiert werden. Wir österreichischen SozialdemokratInnen werden uns für die uneingeschränkte Panoramafreiheit einsetzen.
Der Antrag 421 des französischen Liberalen Jean-Marie Cavada, der eine vorherige Erlaubnis des Rechteinhabers bei kommerzieller Nutzung vorsieht, stiftet Verwirrung, wäre für die Mehrheit der europäischen Mitgliedstaaten ein Schritt zurück und trägt zu erheblicher Rechtsunsicherheit und Verwirrung bei NutzerInnen bei. Das darf nicht passieren.
Sofern die uneingeschränkte Panoramafreiheit nicht im Plenum angenommen wird, werden wir gegen den kompletten Initiativbericht stimmen.

Ich hoffe, ich konnte mit diesen Ausführungen unsere Position klar darlegen und verbleibe

mit freundlichen Grüßen,

Evelyn Regner

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Weitere Informationen

Evaluationsbericht von Julia Reda
https://juliareda.eu/2015/06/panoramafreiheit-in-gefahr/

Online Petition auf change.org
https://www.change.org/p/european-parliament-save-the-freedom-of-photography

Offener Brief von Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Offener_Brief_an_die_Mitglieder_des_Europ%C3%A4ischen_Parlaments_zur_Erhaltung_der_Panoramafreiheit/Unterschriften